20th century Polish Jewish history and digital story-telling
Ende März 2019 lud Centropa in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), dem Galicia Jewish Museum Krakau, dem Teatr N.N. Lublin und mit Unterstützung der Österreichischen Botschaft in Warschau zu einem Wochenendseminar nach Lublin ein:
25 polnische und fünf deutsche Lehrer_innen haben wieder die Schulbank gedrückt und mussten zur Abwechslung Unterrichtsmaterial bekommen, bearbeiten und Fragen dazu stellen.
Sie haben die UnterrichtsmaterialenCentropas kennengelernt, sich mit Intelektuellen wie Konstanty Gebert getroffen, Fragen gestellt und beantwortet, an einem Sabbatessen teilgenommen, Workshops absolviert und Majdanek, das ehemalige deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager besucht. Gemeinsam wurden Unterrichtspläne entwickelt, die sie bei der Rückkehr in ihre Schulen verwenden können.
Das Ziel des Seminarswar es, für die 30 Lehrenden Antworten auf die Fragen zu finden: Wie können wir als Lehrer_innen den Kindern die NS-Vergangenheit näherbringen? Wie steht es um die polnisch-jüdischen Beziehungen? Wie um die deutsch-polnischen? Welche Vermittlungsmethoden können im Unterricht angewendet werden?
Das Teatr N.N. Lublin diente dazu als Hort der Inspiration des Austausches und dem Knüpfen von Kontakten zwischen deutschen und polnischen Lehrenden.
Nach der Begrüßung der Moderierenden und der Mitorganisierenden- Fabian Rühle von Centropa,Katarzyna Kotula-DomagałaCentropa-Koordinatorin am GalicaJewish Museum in Krakausowie Dominika Pyzowska von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Warschau – wurde anhand der Website in die Arbeit von Centropa eingeführt (http://www.centropa.org/). Dort können sich Lehrende kostenlos an Unterrichtsmaterialien wie Fotos, Biographien oder Videos bedienen. Auch bereits durchgeführte Projekte wurden vorgestellt – so gibt es eine kostenlose Smartphone-App und verschiedene Ausstellungen.
Bei den darauffolgenden„Eisbrecher-Aktivitäten“ lernten sich die Teilnehmendenaus verschiedenen Ecken Polens und Deutschlands näher kennen.
Mit der Führung durch das TeatrN.N. Lublin fing das Seminar für die Teilnehmenden richtig an –hier lernten sie die jüdische Geschichte Lublins kennen sowie die verschiedenen Projekte Centropas, um an die Opfer der NS-Verbrechen zu gedenken.
Im ersten Workshop des Seminars wurde das Thema „Geschichtsunterricht und die Aufklärung über Menschenrechte. Wie können diese Rechte kombiniert werden?“ von Katarzyna Kotula-Domagała behandelt.Hier haben die Lehrer_innen erste Vorschläge und Materialien für die Gestaltung ihres Unterrichts zu dieser Fragestellung erhalten. Eine Aufgabe könnte beispielsweise die Ausstrahlungoder die Verschriftlichung eines Filmausschnitts mit einem konkreten Fall der Menschenrechtsverletzung sein, wie etwa aus dem Film „Survival in Sarajevo“ (den Film finden Sie hier). Dazu haben die Lehrenden einen Ausdruck der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ erhalten und sollten die Filmsituation mit Hilfe einer Tabelle (Was ist die Situation? Wie sollte es eigentlich sein? Welche Menschenrechte wurden verletzt? Gib ein aktuelles Beispiel.) analysieren.
Der erste Seminartag endete mit einem traditionellen Sabbatessenzusammen mit Mitgliedern der ortsansässigen jüdischen Gemeinde und einem anschließenden Besuch einer Synagoge.
Um 9 Uhr ging es am darauffolgenden Tag mit dem Bus Richtung Majdanek – zu einem ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager (KZ Majdanek, offiziell KL Lublin, KZ Lublin). Es wurde am 23. Juli 1944 aufgelöst. Die Teilnehmenden bekamen eine geführte Tour in deutscher sowie in polnischer Sprache.
Sie erfuhren, dass dort während des 2. Weltkriegs am 3./4. November bei der Aktion „Erntefest“ über 9.000 Juden ausLublinund dem ZwangsarbeiterlagerLublin-Lipowastraßenach Majdanek verschleppt und zusammen mit weiteren 8.000 dort inhaftierten jüdischen Zwangsarbeitern erschossen wurden.
Die Gebäude des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers sind originalgetreu nachgebaut worden. Zurzeit finden auf dem Gelände in einigen Gebäuden Renovierungsarbeiten statt.
Die Teilnehmenden lernten auch Biographien ehemaliger Häftlinge kennen. So z.B. von Halina Birenbaum, die erst in das KZ Majdanek, dann in das KZ Ausschwitz-Birkenau, später in das KZ Ravensbrück und im Februar 1945 ins KZ Neustadt-Glewe verschleppt wurde. Ihre Erfahrungen beschreibt sie in ihrem Buch „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“Am Ende der Tour gelangte die Gruppe an ein rund 20 Meter Durchmesser großes Mausoleum. Dieses beinhaltet die Asche ermordeter Menschen aus dem Krematorium. Durch eine spezielle chemische Substanz, die über die Asche versprüht wurde, kann die diese nicht verweht werden.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen verarbeiteten die Teilnehmenden ihre Eindrücke auf künstlerische Art und Weise: Jede_r suchte sich ein schwarz-weiß Portrait eines Menschenaus. Auf der Rückseite der Portraits standen die Biographien der jeweiligen Personen.
Das Bild sollte kopfüber mit Kohle und Kreide auf ein DINA4 Papier abgemalt werden. Die Idee einer Künstlerin war es, zu verdeutlichen, dass die Personen zuerst während des Malens nur Linien und Schatten seien(Dehumanisierung) und erst beim Umdrehen (Umdenken) ein Gesicht bekommen und somit wieder zu Menschen werden würden.Eine Teilnehmerin berichtete, dieses Projekt in Kooperation mit dem ortsansässigen Museum durchgeführt zu haben. Das Ende des Projekts war eine Ausstellung.
Danach nahmen die Lehrenden am Workshop „Aufklärung überdie jüdische Geschichte und den Holocaust. Bildung in Polen - Herausforderungen und Kontroversen“teil. Dieser wurde von Marzanna Pogorzelska, Dozentin an der Universität Opole, geleitet.Der Workshop wurde mit der Frage eröffnet: Was zeichnet ein Opfer aus?
Der darauffolgende Workshop „Verschiedene Vermittlungsmethoden über den Holocaust“ wurde von Marzanna Pogorzelska mit einer Diskussionsrunde eingeleitet: Wie sollte die polnische Gesellschaft mit der Schuldfrage umgehen? Sollte sie in der Schule behandelt werden? Im Plenum wurde reflektiert über antisemitische Übergriffe in Polen während des Zweiten Weltkriegs gesprochen. Alle waren sich einig, dass sie auch in der Schule gelehrt werden müssen.
Anschließend schaute sich die Gruppe gemeinsam den Kurzfilm „Damit die Erinnerung nicht verblasst“ (den Film finden Sie hier) an – eine Biographie über Tosia Silberring, die zu Unterrichtszwecken verwendet werden kann. Ein Lehrer berichtete über seine Erfahrungen, wie er den Film im Unterricht verwendet habe: Im Laufe seines Projekts entwickelten zwei seiner Schüler eine App, mit deren Hilfe zwei Bilder, ein aktuelles und eines aus der Vergangenheit, miteinander verglichen werden können.
Der dritte Tag des Wochenendseminars begann Fabian Rühle mit der Vorstellung des Centropa Films „Survival in Sarajevo“ (den Film finden Sie hier). sowie die damit verbundene Ausstellung und verschiedene Projekte von polnischen Studierenden.Anschließend wurden drei Gruppen gebildet, die ein Unterrichtskonzept auf Grundlage des Films erstellen sollten.
Bei dem letzten Workshop „Mindover Media“ wurde mit Hilfe von Katarzyna Kotula-Domagałaim Plenum der Begriff Propaganda definiert. Anhand von drei Beispielen wurde der Unterschied zwischen Propaganda, sozialen Kampagnen und Werbung herausgearbeitet. Die Teilnehmenden analysierten Plakate aus dem zweiten Weltkrieg sowie aktuelle Memes. Daraus kristallisierten sich vier Technikender Manipulation.
Fake News sind nicht gleich Fake News –Es gibt zehn verschiedeneNachrichtenarten, die den Rezipienten während des Lesens in die Irre führen können, u.a. Clickbait oder Satire. Dazu wurden Informations- und Unterrichtsmaterialien mit Leitfragen verteilt.
Krönender Abschluss des Seminars war das Interview mit dem Journalisten und Intelektuellen Konstanty Gebert. Er sprach über das jüdisch-polnische sowie das polnisch-deutsche Verhältnis und beantwortete Fragen aus dem Plenum. Bartosz Rydlińskivon der Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität Warschau moderierte das Interview. Im Vordergrund des Gesprächs standen die Aufarbeitung und Reflektion der Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs auf deutscher wie auch auf polnischer Seite. Immer wieder betonte Gebert, dass es keine Tatsachen ohne Kontext gebe - alles müsse immer im Kontext der Geschichte, der politischen Lage, der Kultur etc. betrachtet werden. So auch der Antisemitismus in Polen während des Zweiten Weltkriegs. Dieser Teil der polnischen Geschichte darf nicht verleugnet und muss aufgearbeitet werden. Er kritisierte Krieg im Allgemeinen: Krieg würde nichts Positives hervorbringen, nur Tod und Leid. Auchvor Nationalstolz warnte er: Solange man selbst nicht an einer Sache beteiligt war, sollte man in sich gehen und überlegen, ob man nicht versucht sich mit fremden Federn zu schmücken. Schließlich warnte er davor, dass Krieg auch nicht an nationalen Grenzen halt mache – weswegen es die Aufgabe jedes Einzelnen sei, fragwürdige Ideologien von vornherein im Keim zu ersticken.
Von: Victoria Marciniak
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