Warschau. Die siebte Debatte in der Reihe "Fragen zu Europa" des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten (ISP) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) widmete sich am 24. März dem Thema russischer Propaganda in Europa. Nach einem kurzen Einführungsfilm sowie Eröffnungsreden von Jacek Kucharczyk (Direktor des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten) und Roland Feicht (Leiter FES Warschau), gaben Łukasz Wenerski (Institut für Öffentliche Angelegenheiten) und Mateusz Bajek (Global.Lab)den Gästen einen Überblick über die Hauptthemen russischer Propaganda in Polen und über sogenannte russische „Trollfabriken“.
Im Anschluss diskutierten Anastasia Sergeeva (freerussia.eu), Grigorij Mesežnikov (Institut für Öffentliche Angelegenheiten, Bratislava) und Anton Shekhovtsov (Human Science Institute, Vienna) unter anderem die Frage, wie man in Europa russische Propaganda bekämpfen kann. Die Moderation dieser Diskussionsrunde übernahm Agnieszka Lichnerowicz (TOK FM).
Jacek Kucharczyk betonte in seiner Einführungsrede, dass Akteure im Zeitalter des Informationskrieges das Ziel verfolgten Demokratien und ihre Ordnungen zu destabilisieren. Ein wichtiges Ziel ausländischer Propaganda in Polen sei es die Beziehung Polens zur Ukraine zu schwächen. Als Ursprung dieser Propaganda identifizierte er Russland. Auch Roland Feicht stellte fest, dass die Beweislast zu groß sei: Trotz des Wunsches gute Beziehungen zur russischen Regierung pflegen zu können, müsse man einsehen, dass russische Propaganda ein wichtiges Thema für die EU sei. Man müsse befürchten, dass dadurch auch Wahlen in Europa beeinflusst werden könnten. Da die Bedeutung von Informationen aufgrund der Entwicklungen der Informationstechnik zugenommen habe, müsse man imstande sein, sogenannte „fake news“ von echten Nachrichten zu unterscheiden.
Die Moderatorin Agnieszka Lichnerowicz ging in ihren einführenden Worten noch darauf ein, dass man heutzutage auch in den Massenmedien russische Propaganda finden könne. Deren Hauptthemen seien die Beziehungen zur Ukraine und die dortige Krise, die Diskreditierung der NATO und die Verzerrung der Darstellung historischer Ereignisse. Polen müsse dieses Problem ernster nehmen und dagegen vorgehen.
Łukasz Wenerski stellte während seines Kurzvortrags die Hauptthemen russischer Propaganda in Polen vor. Dazu würden beispielsweise aggressive Kommentare in sozialen Medien, die die Beziehung Polens zur Ukraine infrage stellen, gehören. Zudem würden Kriegsdenkmäler und Friedhöfe in Polen und der Ukraine beschädigt. Weitere Themen seien eine negative Darstellung der Migration von Ukrainern nach Polen und die Behauptungen, Obama unterstütze ISIS um Assad zu stürzen, und dass Flüchtlinge für ihre Heimatländer kämpfen sollten. Er unterstrich außerdem, dass diese Propaganda bereits die Meinungsbildung am politisch extremen Rand dominiere, aber nun auch langsam Eingang in den politischen Mainstream finde.
Mateusz Bajek thematisierte die sogenannten „Trollfabriken“. Die größte davon stehe in St. Petersburg, wo circa 400 Mitarbeiter, größtenteils Student_innen, bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiteten. Da sie in vielen verschiedenen Ländern operieren, haben sie eine Reichweite von bis zu 36 Millionen Lesern. Ihre Tätigkeiten ließen sich in die folgenden Arbeitsbereiche untergliedern: das Verfassen von Kommentaren in sozialen Medien, das Führen von Blogs, die Produktion verschiedener Webseiten und die Arbeit im Grafikdesign, worunter beispielsweise die Produktion von Filmen fällt. Des Weiteren arbeiteten in den „Trollfabriken“ Redakteure ‚undercover‘ für ausländische Medien, um dort negative Nachrichten zu verbreiten. Die Gefahr, die von solchen Trollen ausgehe, dürfe nicht unterschätzt werden.
Im Anschluss an die Kurzvorträge begann die Diskussion über die Eigenschaften russischer Propaganda in Europa. Dabei merkte Grigorij Mesežnikov zu Beginn an, dass sich die Intensität russischer Propaganda seit der Annexion der Krim erhöht habe. Anastasia Sergeeva war es sehr wichtig zu betonen, dass es sich nicht um Propaganda Russlands handle, sondern um Propaganda des russischen Kremls. Dieser bedeutende Unterschied dürfe nicht außer Acht gelassen werden. Innerhalb des Landes werde zudem noch mehr Propaganda betrieben als im Ausland. Auch Anastasia Sergeeva erkennt einen Anstieg der Intensität seit Beginn des Konflikts in der Ukraine. Sie erklärte, dass die Propaganda dem Zweck dienen solle, ein falsches Verständnis der Realität zu übermitteln und das Vertrauen in jegliche Information zu erschüttern. Oft ginge es darum zu manipulieren und zu provozieren, um von tatsächlich wichtigen Themen abzulenken.
Anton Shekhovtsov beantwortete die Frage, was das größte Missverständnis bezüglich russischer Propaganda sei, indem er erläuterte, dass durch die Propaganda nicht einfach nur eine bestimme Weltanschauung vermittelt werden solle, sondern dass der Kreml gezielt falsche Informationen streue und die Wahrheit verdrehe, um daraus den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Daraufhin stellte die Moderatorin die Frage, was das größere Problem sei: wenn zu wenig gegen die Propaganda unternommen werde, oder wenn alle existierenden Probleme der EU als Produkt der Propaganda abgetan werden? Anton Shekhovtsov war der Meinung, dass letzteres problematischer sei, denn der Kreml nutze nur bereits existierende Probleme der liberalen Demokratien aus, er erschaffe keine neuen. Zudem betonte er im Laufe der Diskussion noch, dass es nicht genüge „fake news“ zu entlarven, da man ihnen dadurch oftmals nur noch mehr Aufmerksamkeit verschaffe. Wichtiger wäre es, die Medienkompetenz der Bürger zu stärken, sodass sie selbst imstande wären „fake news“ zu erkennen. Anastasia Sergeeva merkte an, dass man der russischen Bevölkerung zeigen müsse, dass Europa nicht gegen das Land Russland an sich sei, sondern dass sich die Kritik nur gegen den Kreml richte. Die russische Propaganda vermittle der russischen Bevölkerung das Gefühl, Europa sei der Feind und gegen sie. Im weiteren Verlauf der Diskussion waren sich alle Teilnehmer einig, dass es sowohl am Bewusstsein als auch am politischen Willen mangele, gezielt gegen die Propaganda des Kremls vorzugehen. Anton Shekhovtsov attestierte der EU, dass es an politischer Führung mangele und kritisierte, dass sie sich nicht nur auf Deutschland verlassen könne.
In der anschließenden Diskussion mit den Seminargästen gingen die Teilnehmer nochmals auf die Bedeutung der Medienkompetenz ein. Zudem wurde betont, dass eine liberale Demokratie nicht für immer gegeben sein könne; stattdessen müsse man täglich für sie kämpfen. Es wäre wichtig, sich wieder mehr auf Werte statt auf finanzielle Vorteile zu besinnen. Des Weiteren sei es eine wichtige Aufgabe auf jene Menschen zuzugehen, die von der Propaganda beeinflusst werden und diese zu entradikalisieren.
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